Wandern, Klettern, Schwitzen – Der West Coast Trail auf Vancouver Island ist einer der anspruchsvollsten Wanderwege der Welt
„Graveyard of the Pacific“ – so wird die Küstenregion zwischen der Oregon Coast im Süden (Oregon/USA) und dem Cape Scott Provincial Park (Nordspitze von Vancouver Island/Kanada) genannt.
Und dies ist nicht übertrieben: In hunderten von Jahren Seefahrtsgeschichte ließen vor dieser Küste mehr als 700 Menschen auf über 2000 gekenterten Schiffen ihr Leben.
„Der Friedhof des Pazifiks“
Überrascht vom plötzlichen Sturm, verirrt im undurchsichtigen Nebel – das Wetter an der Westküste von Kanada ist unvorhersehbar. Und dennoch ist dieses Gebiet eine wichtige Seestraße für zahlreiche Schiffe, die auf dem Weg nach Vancouver, Seattle oder Victoria sind.
Solch heftige und unvorhersehbaren Wetterumschwünge führten viel zu oft dazu, dass sich Seefahrer von Panik erfüllt vor plötzlich auftretenden Felsen und Klippen in einer lebensgefährlichen Situation wiederfanden – und oft ihre einzige Überlebensmöglichkeit darin sahen so schnell es ging an das Festland zu schwimmen und dort auf sich aufmerksam zu machen.
Ein Trugschluss – denn wer noch mit letzter Kraft das Wasser besiegt und bis an die Küste geschwommen war, stellte schnell ernüchternd fest, dass auf dem Festland viele weitere Herausforderungen auf einen warteten. Undurchdringlicher Regenwald, steile und unüberwindbare Felsschluchten, Moor – schnell setzte die komplette Orientierungslosigkeit ein.
Das gesamte Küstengebiet wurde bereits vor fast 4000 Jahren von den Stämmen der Pacheedaht, Ditidaht und der Huu-ay-aht Indianer bewohnt. Sie hatten sich an die schroffen Wetterumschwünge gewöhnt und sich ihre eigenen Siedlungen erbaut. Einige Schiffbrüchige, die die Felsküste überwinden und einige hundert Meter ins Innenland eindringen konnten, wurden später nahe der Siedlungen tot aufgefunden. So kurz vor ihrem Ziel hatten sie es nicht mehr geschafft auf sich aufmerksam zu machen!
In den späten 1890ern stieg die Zahl der verunglückten Schiffe immer weiter an. Die zuständige lokale Regierung wollte helfen und richtete einen ersten und sehr provisorisch gehaltenen Trampelpfad entlang der gefährlichen Küste ein. Dieser sollte von den verunglückten Seefahrern an jeder Stelle der Küste leicht gefunden werden und als Orientierung dienen: am Ende des Weges wartete Hilfe.
Die schreckliche Todesfahrt der SS Valencia
Der verwilderte Pfad durch den Regenwald wurde dem regen Schiffsverkehr entlang der Küste allerdings nicht gerecht. Durch nichts wird dies deutlicher als durch die Tragödie des Passagierschiffes SS Valencia im Jahr 1906: Nachdem das Schiff bei stürmischer See vor Vancouver Island auf ein Riff aufläuft kommt jede Hilfe für die 136 Passagiere zu spät. Der Aufschrei und die Empörung in der Bevölkerung waren groß. Es mehrten sich die Forderungen nach einem verbesserten Infrastruktursystem entlang der Küste, welches eine schnellere Hilfe für Schiffbrüchige garantieren sollte. Die Regierung war schnell unter Druck gesetzt und fühlte sich zum Handeln gezwungen.
Der Ausbau des West Coast Trail ab 1907
Bereits wenige Monate nach dem Unglück der SS Valencia stellte die Regierung einen Plan vor, der die essentiellen Verbesserungsarbeiten entlang des einstigen Trampelpfades umfasste. Ab 1907 begannen schließlich die Bauarbeiten. Zuallererst wurde der Trampelpfad mithilfe von Brücken, Leitern und Geländern ausgebaut und „Dominion Lifesaving Trail“ getauft. Der Weg umfasste damit eine Gesamtlänge von 75 km und führte vom Bamfield im Norden bis nach Port Renfrew im Süden. Im nächsten Schritt wurde ein Leuchtturm am Pachena Point erbaut. Dieser steht 12 km südlich von Bamfield und damit genau an dem Küstenpunkt, vor dem die SS Valencia so tragisch verunglückt war.
Eine weitere Modernisierungsmaßnahme war der Bau einer Telegraphenleitung entlang des Trails. Die fünf dazugehörigen Telegraphenstationen wurden am Pachena Point, Estevan Point, am Cape Lazo (östliches Ufer von Vancouver Island), am Point Grey in Vancouver und am Gonzales Hill in Victoria erbaut. Drei Jahre später wurde am Estevan Point zusätzlich ein Leuchtturm zur Orientierung errichtet. Der Bau dieser Telegraphenleitung stellte nicht nur eine neue Kommunikationsmöglichkeit für verunglückte Schiffsbrüchige dar, sondern konnte auch von den vor der Küste verkehrenden Schiffen verwendet werden, um eine bessere Orientierung und damit eine höhere Sicherheit auf See zu haben.
Im weiteren Zuge des Ausbaus des Trails wurden im Abstand von jeweils acht Kilometern sogenannte shelter eingerichtet. Diese Informations- und Hilfepunkte boten eine erste Direkthilfe für die Schiffsbrüchigen und einen Telegraphen (mit einer Bedienungsanleitung in verschiedenen Sprachen), Decken, Essen und Informationen zum Trail sowie zur Orientierung. Wer solch einen shelter erreicht hatte, konnte per Telegraph auf sich aufmerksam machen und sich bis zur nahenden Rettung selbst versorgen.
Die letzte Sicherheitsmaßnahme war der Bau der „Bamfield Lifeboat Station“ am nördlichen Ende des Trails. An diesem Ort wurde das erste Motorrettungsboot gebaut, dessen einziger Zweck die Lebensrettung von Schiffsbrüchigen ist. Diese Motorrettungsboote waren elf Meter lang und boten damit verunglückten Seefahrern Platz und Sicherheit. Die Errichtung dieser Rettungsboot Station sollte wegweisend sein: In den nächsten 50 Jahren wurden an den Küstengebieten von Kanada und den USA hunderte von ähnlichen Stationen erbaut, die zahlreichen Schiffsbrüchigen das Leben retteten. Mittlerweile hat sich die Station in die „Canadian Coast Guard Bamfield“ umbenannt und ist eine renommierte Trainingsschule für die Rettung von Schiffsbrüchigen geworden.
Mit dem Bau der Telegraphenleitung und der Leuchttürme wurde das Westufer von Vancouver Island dünn besiedelt, da einige Leuchtturmwärter und Wartungsmitarbeiter der Telegraphen ständig vor Ort sein mussten.
Technischer Fortschritt ließ das Interesse am Trail wieder sinken
Der zunehmende technische Fortschritt im 20. Jahrhundert führte dazu, dass die Schifffahrt immer sicherer wurde und die Rettungsmaßnahmen des West Coast Trails immer weniger in Anspruch genommen wurden – eine zweifelsohne positive Entwicklung! Allerdings sank damit auch das allgemeine Interesse an dem einst von der kanadischen Bevölkerung mit großem Aufschrei geforderten Trail. Und die Verwilderung ließ nicht lange auf sich warten: Regenwald und unstetiges Wetter hinterließen schnell ihre Spuren und ließen den Trail schnell wieder schwer passierbar werden.
Systematische Parkverwaltung und steigende Wanderlust
In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wuchs in der ganzen Welt die Neugier zum Entdecken und zum Reisen. Und der West Coast Trail hatte schließlich eine jahrhundertelange Geschichte zu erzählen! Eine rasant wachsende Reisegesellschaft mit Freude an der Natur und am Abenteuer ließen die Wanderlust neu entflammen. Um den Wanderern und Hikern allerdings auch einen gewissen Grad an Sicherheit zu gewährleisten, wurde der West Coast Trail 1973 in den Pacific Rim National Park im Norden von Vancouver Island integriert und damit unter die Aufsicht von Parks Canada gestellt.
Parks Canada verwaltet den West Coast Trail
Parks Canada ist eine Behörde, die von der Regierung dazu beauftragt wurde, das Kultur- und Naturerbe Kanadas zu schützen und zu verwalten. Um den West Coast Trail aber auch in seiner Originalität und damit in seiner einzigartigen Naturlandschaft zu schützen, verwaltet Parks Canada alle Fährten des Trails.
Grundsätzlich ist der Trail vom 1. Mai bis zum 30. September geöffnet. Während dieser Zeit garantiert die Parkverwaltung einen Such- und Rettungsdienst, der verunglückten Wanderern schnellstmöglichst zur Hilfe kommt. Außerhalb dieser genannten Öffnungszeiten ist der Trail zwar ebenfalls für Wanderer geöffnet, doch Parks Canada übernimmt in diesem Zeitraum keine Garantien für Sicherheitsmaßnahmen. Aufgrund der heftigen Wetterumschwünge und kalten Temperaturen ist eine Bewanderung außerhalb der regulären Öffnungszeiten nicht zu empfehlen.
Neben der einzigartigen und höchst beeindruckenden Natur entlang des West Coast Trails lassen sich an einigen Stellen zudem auch wertvolle Denkmäler und Reservate, der dort einst ansässigen Indianerstämme finden. Da diese in der Vergangenheit von einigen Wanderern und Hikern beschädigt und verschmutzt wurden, ist es heute streng verboten den Wanderweg zu verlassen und die Indianerreservate genauer zu begutachten. Parks Canada übernimmt die Aufsicht über die Einhaltung dieser Regel.
Wandern auf dem West Coast Trail
Der Trail kann von zwei verschiedenen Startpunkten betreten werden. Im Norden ist dies der Ort Bamfield direkt oberhalb des Pacific Rim Nationalpark und im Süden ist es Port Renfrew (südlich des Carmanah Walbran Provincial Parks) direkt am Anfang der Juan-de-Fuca-Straße. Grundsätzlich ist der südliche Teil des Trails deutlich anspruchsvoller, sodass dazu geraten wird, im Süden anzufangen und so bei schwindenden Kräften den leichteren Nordteil zu bewandern. Der gesamte Trail ist 75 km lang und kann in gemütlichem Tempo in 7 Tagen zurückgelegt werden. Die tatsächliche Wanderdauer hängt aber von der jeweiligen Fitness des Wanderers ab.
Pro Tag dürfen jeweils nur 30 Wanderer von Norden und Süden den Trail betreten. Auch wenn sich diese geringe Anzahl von Wanderern in Relation zur Wanderstrecke von 75 km erst einmal nicht nachvollziehbar anhört, so hat sie doch ihre Berechtigung. Dieser besondere und weltweit einzigartige Wanderweg ist nichts für den Massentourismus. Wer diesen Trail bezwingen will, muss konzentriert und körperlich fit sein – kaum vorzustellen wie sich angehäufte Menschenmengen über die Brücken zwingen und durch die Leitersysteme schlingeln!
Reservierungssystem
Wer den West Coast Trail bewandern will muss sich mindestens drei Monate vorher über ein Reservierungssystem bei Parks Canada anmelden. Auf diese Weise kann die Verwaltung die Anzahl der Wanderer regulieren und verhindern, dass man nach einer langen Anreise an einem Startpunkt steht und nicht auf den Trail gelassen wird. Das Reservierungssystem ist telefonisch und kann jederzeit genutzt werden. Weitere Informationen finden Sie hier.
Informationspunkte vor Ort
Um den Wanderern und Hikern, die den West Coast Trail bezwingen wollen, einen Überblick darüber zu geben, auf was sie sich eingelassen haben, hat Parks Canada an den beiden Startpunkten im Norden und im Süden Informationspunkte eingerichtet. Hier können die Wanderer per Kurzfilm und Infomaterial sehen, was sie erwartet:
Brücken über Felsschluchten, mooriger Regenwald, Leitersysteme zur Überwindung von hohen Felsen und Klippen, Holzstege über Flüsse! Außerdem verteilt Parks Canada einen Zeitplan über Ebbe und Flut. Dies ist besonders wichtig, da die Wanderer an einigen Stellen die Wahl zwischen einem Wanderweg direkt am Strand oder durch das Inland haben. Wer hier den Strandweg bevorzugt, der muss genau wissen, ob der Strand zu der Zeit nicht durch hohe Fluten und wilde Strömungen unpassierbar gemacht worden ist.
Überquerung von Flüssen
Der West Coast Trail führt nicht nur über Stock, Stein, Schluchten und Felsen, sondern auch über diverse Flüsse. Kleinere Bäche haben hierbei provisorischere Überquerungshilfen: kleine Holzblöcke im Bach müssen vom Wanderer geschickt besprungen werden, um mit trockenem Fuß das andere Ende des Wasserlaufes zu erreichen. Breitere Strömungen und Flüsse werden häufig per Holzsteg- oder Brücke überquert. Auch hier ist allerdings höchste Vorsicht geboten, da das Holz an einigen Stellen vermoost, brüchig und glitschig ist!
Die beiden größeren Flüsse entlang des Trails, der Gordon River im Süden und der Nitinat Narrow in der Mitte, müssen hingegen per Boot überquert werden. Beim Nitinat Narrow besteht hierbei sogar die Möglichkeit den Wanderweg ganz zu verlassen. Ein Wassertaxi kann den Wanderer an dieser Stelle abholen und über den Fluss bis zum Ende des Nitinat Lake fahren, von wo dann die nächste Ortschaft erreicht werden kann.
Der West Coast Trail ist nur für erfahrene Wanderer und Hiker
Hier darf man sich nicht überschätzen: Wer nicht über eine ausreichend hohe Fitness und Kondition verfügt, kann sich entlang des West Coast Trails schnell selbst in hohe Gefahr bringen. Dieser Wanderweg ist weltweit einzigartig und sehr beliebt – doch wirklich nur für erfahrene Wanderer. Im Vorfeld muss der Körper so fit gemacht werden, dass er den kräfteraubenden Anstrengungen der Leiter- und Klettersysteme, wie auch den allgemeinen Strapazen des täglichen Wanderns gewachsen ist. Für eine Grundsicherung sorgen die Sicherheitsvorkehrungen des Parks Canada. Darüber hinaus müssen Wanderer immer in einer Gruppe den Trail beschreiten und sich an den entsprechenden Punkten bei den Mitgliedern des Parks Canada an- und abmelden.
Verpflegung beim Wandern
Jeder Wanderer muss seine gesamte Verpflegung auf dem Rücken mit sich tragen. Aus diesem Grund muss vor der Wanderung genau überlegt und rationiert werden, was jeden Tag wie viel gegessen wird. Eine genaue Planung und exaktes Abwiegen können hier einige Kilogramm Unterschied ausmachen und damit auch die Kräfteeinteilung entscheidend beeinflussen. Entlang des Trails gibt es nur zwei Orte, an denen man essen kann. Der erste befindet sich direkt in der Mitte des Wanderweges bei der Fährenstation des Nitinat Narrow und der zweite im Süden des Trails (Chez Monique – bekannt für ihre großartigen Burger) und damit kurz vor Eintritt in den Carmanah Walbran Provincial Park.
Camping auf dem West Coast Trail
Entlang des West Coast Trails sind mehrere Campingplätze angesiedelt.
Diese sind mit dem Notdürftigsten ausgestattet und bieten große abschließbare Boxen, um den eigenen Proviant gegen Bären zu schützen.
Einzigartig, Wild, Ursprünglich, Unbezwungen – ein Reisebericht
Die Geschichten rund um den West Coast Trail sind tragisch und leidvoll – und doch bewandern ihn jedes Jahr mehr als 6000 Menschen um die Einzigartigkeit und Wildnis der Natur hautnah zu erleben. Lesen Sie hier einen kurzen Reisebericht von einer Wanderung auf dem West Coast Trail.
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